Neben dem Verinnerlichen des Tauhids und der Erfüllung der göttlichen Gebote spielt im Islam auch die Charakterreinigung (Tazkiyah) eine große Rolle. Bei der Tazkiyah befreit man seine Seele so weit wie möglich von allen schlechten Eigenschaften und Angewohnheiten, die einem Muslim nicht gebühren. Gleichzeitig versucht man, sich positive Eigenschaften wie die Gottesfurcht anzueignen. Der vorliegende Artikel erläutert die verschiedenen Arten dieser Praxis und gibt einen Einblick darin, weshalb sie so wichtig ist.
Die Tazkiyah und ihre Kategorien
Die Tazkiyah wird zumeist als „Charakterreinigung“ oder „Läuterung der Seele“ übersetzt. Sie stellt jene Disziplin des Glaubens dar, die erforscht, was einen guten Charakter ausmacht und wie man sich diesen aneignen kann. Dabei geht es viel um die Selbstbeherrschung und das Kontrollieren der eigenen Emotionen. Die Seele soll von Fehlern sowie von unmoralischen Eigenschaften gereinigt werden. Die Tazkiyah ist eine sehr umfassende Disziplin, die verschiedene Kategorien der Charakterentwicklung beinhaltet. Man unterscheidet zwischen folgenden drei Hauptkategorien:
Die Beziehung zu Allah
In dieser Kategorie beschäftigt man sich mit der Beziehung der eigenen Seele zu Allah. Man reflektiert, wie man Allah näherkommen kann. Dabei geht es etwa darum, Gottesfurcht zu entwickeln oder das Herz zu erweichen, demütiger im Gebet zu werden oder zu lernen, den Glauben zu lieben. Diese Art der Charakterreinigung dient dazu, das Praktizieren der Religion und die Beziehung zu Allah zu verbessern.
Das Reinigen von schlechten Eigenschaften
Ein anderer Unterpunkt der Tazkiyah ist die Reinigung des Charakters von schlechten Eigenschaften, welche oftmals tief im Menschen verankert sind. Jeder Mensch hat andere Eigenschaften, die im Islam als negativ angesehen werden. Dazu gehören etwa Zorn, Neid, Hochmut und Geiz oder schlechte Angewohnheiten wie das Lästern, das Rauchen oder das Streben nach dem Ansehen unter den Menschen. Es gilt, diese negativen Eigenschaften und Angewohnheiten zu erkennen und sich davon zu trennen.
Die Bekämpfung der Neigungen
Die letzte Unterkategorie der Tazkiyah behandelt die Bekämpfung der eigenen Neigungen und der Triebe. Zu diesen zählen der Essenstrieb, der Sexualtrieb, der Schlaftrieb oder auch die Leidenschaft, verbotene Dinge zu tun. Die meisten dieser Triebe sind natürlich und kommen in jedem Menschen vor. Deshalb gilt es auch nicht, diese Triebe komplett zu unterdrücken und ein Leben in Enthaltsamkeit zu führen, wie es etwa die Mönche tun. Vielmehr versucht man, Kontrolle über die Triebe zu erhalten und sie so weit einzuschränken, dass sie einen nicht am korrekten Ausüben der Religion hindern. Dies muss vor allem dann geschehen, wenn aus dem Befolgen des Triebes Sünden resultieren können.
Gründe für die Tazkiyah
Es gibt verschiedene Gründe, warum das Läutern der Seele im Islam wichtig ist, von denen einige im Folgenden angeführt sind.
Die Tazkiyah als Weg ins Paradies
Die höchste Motivation eines jeden Muslims beim Begehen einer Tat ist der jenseitige Lohn, der Eintritt ins Paradies. Gleichzeitig erhält man durch das Begehen von guten Taten Schutz vor dem ewigen Feuer. Gute Taten führen einen Muslim ins Paradies, wobei schlechte Taten ihn der Strafe aussetzen können. Daher ist es zunächst wichtig, sich einen Lebensstil anzueignen, in dem das Verrichten guter Taten Alltag ist und man sich von den Sünden entfernt. Dies kann mithilfe der Charaktererziehung erreicht werden. Alleine die Anstrengung, den Charakter von Schlechtem zu reinigen, wird von Allah als Gottesdienst angesehen und belohnt, wenn dahinter die aufrichtige Absicht steht, Allah damit zu gefallen. Außerdem gehört das Befolgen der Gelüste zu einem der Hauptgründe, weshalb Menschen mit der Hölle bestraft werden. In einem Hadith sagte der Prophet, Friede sei mit ihm:
„Das Paradies ist von Erschwernissen umgeben, und das Höllenfeuer ist von Gelüsten umgeben“ [Muslim].
Ein Grund dafür ist, dass die Gelüste einen Menschen oft dazu bringen, Unmoralisches und Falsches zu tun. Es ist schwer, diese zu kontrollieren, damit sie dem Muslim nicht mehr schaden können, doch es wird belohnt. Auch wenn die Triebe und Neigungen natürlich sind und jeder Mensch sie besitzt, heißt es nicht, dass diesen ständig nachgegeben werden muss. So beschreibt Allah, der Erhabene, im Koran, wie Er jede Seele erschuf, sie formte und ihr dann sowohl Gottesfurcht als auch Sittenlosigkeit eingab [Koran 91:7-8]. Ein jeder Mensch besitzt also seit seiner Erschaffung sowohl gute Eigenschaften und Gottesfurcht als auch schlechte Eigenschaften. Letztere gehören zu den Prüfungen, die die Menschen auf der Erde durchleben müssen. Reinigt man seine Seele nicht von den schlechten Eigenschaften, die in ihr verankert sind, so gibt man diesen Neigungen ständig nach. Dies hat einen Einfluss darauf, was für ein Mensch man ist, wie man mit anderen Menschen umgeht und nicht zuletzt auch darauf, wie man seinen Glauben lebt. Und diese Punkte sind wiederum entscheidend für den Tag des Gerichts, an dem jeder für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wird. So sagt Allah im Koran über die Seele:
„Wohl ergehen wird es ja jemandem, der sie läutert, und enttäuscht werden wird ja, der sie verkümmern lässt“ [91:9-10].
Die Tazkiyah zum Erhalt der guten Taten
Neben der Verse in Sure asch-Schams, in denen die Tazkiyah für das ewige Wohlergehen empfohlen wurde, gibt es noch andere Stellen im Koran, in denen Allah die Tazkiyah beschreibt. So sagt Er in Sure asch-Schuara:
„An dem Tag, da weder Besitz noch Söhne (jemandem) nützen, außer, wer zu Allah mit heilem Herzen kommt“ [Koran 26:88-89].
Mit diesem heilen Herzen ist das gereinigte Herz gemeint, das, was keine schlechten, sondern nur gute Eigenschaften aufweist. Die Menschen, die die Tazkiyah vollzogen, werden in den Paradiesgarten eingehen, wie Allah an einer anderen Stelle sagt:
„Was aber jemanden angeht, der den Stand seines Herrn gefürchtet und seiner Seele die (bösen) Neigungen untersagt hat, so wird der (Paradies)garten (ihm) Zufluchtsort sein“ [Koran 79:40-41].
Dies bestätigt den Punkt, dass die Charakterreinigung ein Grund ist, ins Paradies einzugehen und dass sie eine im Islam empfohlene Praxis ist.
Die Tazkiyah für das diesseitige Leben
Obwohl die Charakterreinigung mit der Absicht auf den jenseitigen Lohn vollzogen werden soll, hat sie auch positive Auswirkungen auf das diesseitige Leben. Viele Nichtmuslime beschäftigen sich so mit der Reinigung ihres Charakters, ohne zu wissen, dass dies auch eine islamische Praxis ist. Man stärkt Eigenschaften wie die Geduld, was es leichter macht, mit Problemen umzugehen. Zwischenmenschliche Beziehungen verbessern sich, wenn man sich gute Eigenschaften aneignet und Schlechtes wie Lügen, Lästern oder Betrügen ablegt. Durch die Bekämpfung der Triebe und Neigungen wird ein Mensch disziplinierter und eher fähig, vorgenommene Ziele zu erreichen. Dadurch wird er zufriedener und erfolgreicher im Leben. Die Beziehung zu Gott verbessert sich, man kommt Allah näher und kann diese Nähe im Leben spüren. Das Gebet verbessert sich durch die Demut. Durch die Nähe zum Schöpfer ist man mit der gesamten Schöpfung im Einklang, der gute Charakter hilft, eine innere Ruhe und Harmonie zu erhalten.
Fazit
Die Tazkiyah besitzt eine enorme Wichtigkeit im Islam und bringt viele Vorteile mit sich, seien diese für das diesseitige oder auch für das jenseitige Leben. Hier soll angemerkt werden, dass es nicht möglich sein wird, ein perfekter Mensch zu werden. Bei der Tazkiyah ist der Weg das Ziel. Egal auf welcher Stufe des Iman ein Mensch sich befindet, gibt es immer Schwächen, an welchen er arbeiten und Stärken, welche er verbessern kann. Für Allah ist das Wichtigste, dass der Mensch sich anstrengt, seinen Charakter zu entwickeln. Dadurch erreicht man bei Ihm bereits einen Lohn. Die genaue Art, wie man seinen Charakter reinigt, ist Gegenstand einer kompletten Serie und wird in späteren Blogartikeln behandelt werden.